Rechtsprechung: Fehlende Zahlungswilligkeit und Betrug (28.04.2016)

Die strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hatte im Urteil 6B_887/2015 vom 8. März 2016 folgenden Sachverhalt zu würdigen: Der von der Vorinstanz wegen Betrugs (Art. 146 StGB) verurteilte Beschwerdeführer bestellte einen Drucker, obwohl er weder willens noch in der Lage war, den Kaufpreis von CHF 2'210.- zu bezahlen. Nach der Lieferung hat er die Rechnung nicht beglichen und jeden Kontakt mit der Verkäuferin verunmöglicht. Diese hat den Kaufpreis erst auf dem Betreibungsweg erhältlich machen können. Die Vorinstanz stellte verbindlich fest, dass der Beschwerdeführer nicht über die Mittel verfügte, um den bestellten Drucker zu bezahlen (also nicht zahlungsfähig war), und sein Verhalten auf mangelnden Leistungswillen schliessen lasse (er also nicht zahlungswillg war). Zu entscheiden war, ob der Beschwerdeführer den Tatbestand des Betrugs erfüllte.

Gemäss Art. 146 Abs. 1 StGB macht sich des Betrugs schuldig, wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen andern am Vermögen schädigt. Arglist ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, wenn der Täter ein ganzes Lügengebäude errichtet oder sich besonderer Machenschaften oder Kniffe bedient. Bei einfachen falschen Angaben ist das Merkmal nur dann erfüllt, wenn deren Überprüfung nicht oder nur mit besonderer Mühe möglich oder nicht zumutbar ist, sowie dann, wenn der Täter den Getäuschten von der möglichen Überprüfung abhält oder nach den Umständen voraussieht, dass dieser die Überprüfung der Angaben aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses unterlassen werde. Mit dem Tatbestandsmerkmal der Arglist verleiht das Gesetz dem Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung wesentliche Bedeutung. Arglist scheidet aus, wenn der Getäuschte den Irrtum mit einem Mindestmass an Aufmerksamkeit hätte vermeiden können. Auch unter dem Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung erfordert die Erfüllung des Tatbestands indes nicht, dass das Täuschungsopfer die grösstmögliche Sorgfalt walten lässt und alle erdenklichen Vorkehren trifft. Arglist scheidet lediglich aus, wenn es die grundlegendsten Vorsichtsmassnahmen nicht beachtet. Entsprechend entfällt der strafrechtliche Schutz nicht bei jeder Fahrlässigkeit des Getäuschten, sondern nur bei Leichtfertigkeit, welche das betrügerische Verhalten des Täters in den Hintergrund treten lässt. Die zum Ausschluss der Strafbarkeit des Täuschenden führende Opferverantwortung kann nur in Ausnahmefällen bejaht werden.

Nach der Rechtsprechung ist die Vorspiegelung des Leistungswillens grundsätzlich arglistig im Sinne von Art. 146 StGB, weil sie eine innere Tatsache betrifft, die vom Vertragspartner ihrem Wesen nach nicht direkt überprüft werden kann. Arglist kann bei einfachen falschen Aussagen gegeben sein, wenn eine weitere Überprüfung nicht handelsüblich ist, etwa weil sie sich im Alltag als unverhältnismässig erweist und die konkreten Verhältnisse eine nähere Abklärung nicht nahelegen oder gar aufdrängen und dem Opfer diesbezüglich der Vorwurf der Leichtfertigkeit nicht gemacht werden kann. Anders als die Vorinstanz geht das Bundesgericht bei der vom Beschwerdeführer getätigten Bestellung nicht von einen Regelfall des Geschäftsalltags aus. Wenn eine Privatperson einen leistungsstarken Drucker der Mittelklasse für rund Fr. 2'200.-- bestellt, könne - so das Bundesgericht - mit Blick auf das durchschnittliche Monatseinkommen in der Schweiz nicht mehr von einem Alltagsgeschäft gesprochen werden. Dass der Kauf eines solchen Druckers durch eine Privatperson nicht alltäglich ist, ergibt sich auch aus den Aussagen des Vertreters der Verkäuferin im vorinstanzlichen Verfahren, wonach er sich noch gedacht habe, ein Privater benötige nicht unbedingt ein solch leistungsstarkes Gerät. Gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen unterhielt der Beschwerdeführer vor dem fraglichen Geschäft keine Geschäftsbeziehung zu der Verkäuferin. Es lag somit kein Vertrauensverhältnis irgendwelcher Art vor. Die Lieferung auf Rechnung bei über das Internet bestellter Ware ist generell eher unüblich, jedenfalls bei Bestellungen von Produkten mit einem - wie vorliegend - höheren Warenwert. Üblich ist die Bezahlung der Ware per Kreditkarte oder Vorauskasse, ehe diese versandt wird. Indem die Verkäuferin den für eine Privatperson unüblich leistungsstarken und entsprechend teuren Drucker auf Rechnung an eine ihr unbekannte Privatperson lieferte, ging sie bewusst ein gewisses Risiko ein. Zusätzlich tätigte sie keinerlei Abklärungen hinsichtlich der Bonität des Beschwerdeführers. Es wäre der Verkäuferin indes ohne erheblichen zusätzlichen Aufwand möglich gewesen, das Gerät erst nach gesicherter Bezahlung zu versenden oder die Bonität des Beschwerdeführers zumindest rudimentär zu prüfen. Eine entsprechende Prüfung hätte gezeigt, dass der Beschwerdeführer angesichts seiner finanziellen Verhältnisse zur Erfüllung des Kaufvertrags offensichtlich nicht fähig war und somit auch nicht ernsthaft leistungswillig sein konnte. Dieser zusätzliche Aufwand kann angesichts der konkreten Umstände nicht als unverhältnismässig oder unzumutbar bezeichnet werden. Das Verhalten der Verkäuferin muss deshalb unter Berücksichtigung der Gegebenheiten als leichtfertig eingestuft werden. Von einer arglistigen Täuschung durch den Beschwerdeführer kann nicht gesprochen werden. Die Missachtung grundlegendster Vorsichtsmassnahmen durch die Verkäuferin lässt dessen Verhalten vorliegend ausnahmsweise in den Hintergrund rücken. Mangels arglistigem Verhalten verneinte deshalb das Bundesgericht die Tatbestandsmässigkeit. Es hiess die Beschwerde (teilweise) gut.

Kommentar: Dem Entscheid ist folgendes anzumerken: (i) Zunächst ist daran zu erinnern, dass Laien dazu neigen, leichtfertig eine Handlung als "betrügerisch" hinzustellen, während Juristen wissen, dass der Tatbestand des Betrugs erst erfüllt ist, sofern die Handlung als arglistig im umschriebenen Sinne zu qualifizieren ist. (ii) Das Urteil schliesst trotz seines Ergebnisses nicht aus, dass bei bloss vorgespiegelter Zahlungswilligkeit der Betrugstatbestand erfüllt werden kann. Insbesondere wenn die Tatbestandsvoraussetzung der Arglist bejaht werden muss (was gemäss bundesgerichtlichen Erwägungen bei günstigeren Geräten eher der Fall sein dürfte), kann ein derartiges Verhalten betrugsrechtlich relevant sein. (iii) Betreiber von Online-Shops sind indessen gut beraten, für Bestellungen lediglich Kreditkarten, Vorauskasse oder andere geeignete Zahlungsmittel zu akzeptieren. Zumindest ihre strafrechtliche Position verbessert sich, wenn der Betreiber/Lieferant nicht vorleistungspflichtig ist. (iv) Abschliessend ist hervorzuheben, dass es sich beim vorliegenden Urteil um ein strafrechtliches handelt. Nicht zu entscheiden war namentlich, ob der Besteller den Kaufpreis schuldet (welcher gemäss Urteil auf dem Betreibungsweg erhältlich gemacht werden konnte), sondern einzig um die strafrechtliche Verantworlichkeit des Bestellers.