Rechtsprechung: Fristlose Kündigung nach Diebstahl zulasten des Arbeitgebers (04.12.2015)

Ein Mitarbeiter eines Restaurants versuchte im Herbst 2012, nachdem er bereits früher wegen anderen Vorfällen verwarnt worden war, eine Flasche Wein aus dem Lager des Restaurants zu stehlen. Der Arbeitgeber erwischte den Angestellten in flagranti, als dieser die Flasche in seiner Tasche versteckte und gerade dabei war, nach Hause zu gehen. In der Folge kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos. De kantonalen Instanzen hielten die fristlose Kündigung nicht für gerechtfertigt, weil die Weinflasche lediglich von geringem Wert gewesen sei und das Arbeitsverhältnis bereits elf Jahre bestand. Im Entscheid 4A_228/2015 vom 29. September 2015 hob das Bundesgericht das vorinstanzliche Urteil mit folgender Begründung auf:

Das Bundesgericht hielt zunächst fest, dass Straftaten zulasten des Arbeitgebers geradezu ein Paradebeispiel für die Rechtfertigung einer fristlosen Kündigung seien. Dennoch sei stets zu prüfen, ob ein wichtiger Grund i.S.v. Art. 337 OR vorliege, mithin ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann. Der bloss geringe Wert eines Diebesgutes sei dabei kein relevantes Element bei der Beurteilung, ob das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer derart zerrüttet ist, dass die Fortführung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Auch das Stehlen von Sachen mit geringem Wert könne dieses Vertrauensverhältnis zerstören. Die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses ändere daran nichts. Der zu beurteilende Vorfall sei deshalb genügend gravierend, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen, so das Bundesgericht.

Kommentar: Im Unterschied zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses (wo lediglich eine nachträgliche Begründungspflicht besteht, sofern vom Arbeitnehmer verlangt; vgl. Art. 335 Abs. 2 OR) ist die fristlose Kündigung nur bei Vorliegen wichtiger Gründe zulässig. Ob eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist, ist stets im Einzelfall unter Würdigung der gesamten Umständen zu berurteilen. Als massgebliche Kriterien bezeichnet das Bundesgericht etwa die Stellung und Verantwortung des Arbeitnehmers, die Dauer des Arbeitsverhältnisses, der Art, Häufung und Schwere der Vertragsstörung und eine allfällig vorausgegangene Verwarnung. Regelmässig betont das Bundesgericht den Ausnahmecharakter der fristlosen Auflösung. Dennoch hat es bereits in seinen früheren Urteilen recht geringfügige Straftaten zulasten des Arbeitgebers als genügend erachtet. Im vorliegenden Urteil hat das Bundesgericht nun explizit festgehalten, dass das Stehlen von Gegenständen minderen Werts für eine fristlose Kündigung ausreicht. Damit anerkennt das Bundesgericht, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch bei einem Diebstahl mit einem bloss geringen Schaden zulasten des Arbeitgebers zerrüttet sein und die Forstsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann; dies selbst bei einer bereits seit Jahren bestehenden Anstellung, was das Bundesgericht - zumindest im vorliegenden Fall - offensichtlich (und ohne eingehende Begründung) als schwaches Kriterium zur Rechtfertigung der fristlosen Kündigung betrachtet. Im Lichte der bisherigen Rechtsprechung und der vom Bundesgericht und der Lehre aufgestellten Kriterien für die Rechtfertigung einer fristlosen Kündigung hätte vorliegend trotz Verwarnung wohl auch gegenteilig und somit im Sinne der Vorinstanzen entschieden werden können.